Abschlussarbeiten im Media Lab Ansbach | 31.10.2023

Konstruktiver Journalismus: Bereit für gute Nachrichten?

Nicht erst seit der Corona-Pandemie ist der Konsum von Nachrichten anstrengend und belastend. Für manche sogar so sehr, dass sie gar keine Nachrichten mehr konsumieren. Bad News? Nein danke! Was tun gegen diese Nachrichtenmüdigkeit? Unsere Gastautorin hat im Rahmen ihrer Bachelorarbeit an einem Tool gearbeitet, das Teil der Lösung sein soll.

Negative Nachrichten als Stressfaktor

Krisen, Kriege, Katastrophen dominieren aktuell die Schlagzeilen. „Only bad news are good news“ - ein Leitspruch, der sich lange in Redaktionen hielt. Denn Menschen sind offener für schlechte Nachrichten. Ein Team um den amerikanischen Kommunikationswissenschaftler Stuart Soroka hat 2019 geforscht, wie sich Katastrophenmeldungen auf den Körper auswirken. Das Ergebnis: Schlimme Neuigkeiten lösen deutlich mehr Reaktionen aus, lassen uns schwitzen und werden häufiger geklickt. Das Bedürfnis, auf dem Laufenden zu bleiben, ist groß. Schließlich warnen uns solche Meldungen vor Gefahren. Eine verpasste gute Nachricht ist ärgerlich, eine verpasste schlechte Nachricht ist lebensbedrohlich – in der Steinzeit zumindest. Doch noch heute ist der Grundgedanke: Negative Nachrichten sind die wichtigeren Meldungen.

Negative Nachrichten als Stressfaktor

Lesen, hören oder sehen wir jeden Tag überwiegend negative Beiträge, gerät unser Körper und Geist allerdings in einen dauerhaften Stresszustand. Die Folge für die eigene Gefühlslage: Angst, Gereiztheit, Mutlosigkeit. Und auch der Blick auf die Welt verändert sich. Die Kluft zwischen Realität und der öffentlichen Wahrnehmung von Realität wurde schon mehrfach in der internationalen Umfrage Perils Of Perception untersucht. Die Deutschen überschätzten hierbei nicht nur die Arbeitslosenquote und die Menge an Diabetes-Erkrankten im eigenen Land, sondern auch die Anzahl der Todesopfer durch Terroranschläge.

Geht es unserer Welt wirklich so schlecht wie noch nie? „Oder fehlt der Öffentlichkeit das ganze Bild?“ Letzteres sagt zumindest der dänische Journalist Ulrik Haagerup. Denn mit sozialen Verbesserungen und Geschichten des Gelingens zeichnet sich eigentlich ein positiver Wandel ab. Meldungen zu Fortschritt, Wachstum und Erfolgen fallen jedoch deutlich rarer aus. Laut Haagerup entgeht der Öffentlichkeit durch diese Überbewertung negativer Nachrichten, was alles gut läuft. Isolierte, negative Ereignisse werden fälschlicherweise als tägliche Realität interpretiert. So entscheiden sich immer mehr Menschen dagegen, überhaupt Nachrichten zu konsumieren. Bei der aktuellen Berichterstattung schalten weltweit ein Drittel der Medienkonsumenten ab oder um, Online-Meldungen ignorieren sie bewusst oder scrollen weiter, so steht es im Reuters Institute Digital News Report 2023.

Das Vermeiden von Nachrichten darf an dieser Stelle aber nicht als Ausdruck von Desinteresse verstanden werden. Vielmehr ist es eine menschliche Schutzstrategie – wenn auch eine mit weitreichenden Konsequenzen. Denn Menschen, die Nachrichten meiden, sind schlechter informiert und können weniger faktenbasierte Entscheidungen treffen. Außerdem fehlen ihnen grundlegende Informationen, um sich aktiv in den politischen Diskurs einzubringen. Hier stellt sich also die entscheidende Frage: Wie kann es gelingen, so zu berichten, dass wir uns nicht von Nachrichten abwenden?

Konstruktiver Journalismus gegen die Nachrichtenmüdigkeit

Vielseitig informieren, so dass alle es verstehen. Herausfordern, weil potentielle Lösungen neues Denken erfordern. Menschen zusammenbringen, weil Journalismus eine gesellschaftliche Verantwortung hat.

Kurzgefasst: Fakten, Perspektiven und Diskurs. Dieses Ziel verfolgt der Konstruktive Journalismus. Denn eine gute Berichterstattung sieht laut Haagerup, der diesen Begriff maßgeblich geprägt hat, die Welt mit beiden Augen. Sie lässt die wichtigen Informationen über Konflikte und Kriege nicht aus, bringt aber auch jene Geschichten, die inspirieren und engagieren, weil sie die andere Seite zeigen: Dinge, die funktionieren, und Menschen, die Außerordentliches leisten, um relevante Probleme zu lösen.

Es geht also nicht darum, die negativen Seiten eines Themas auszublenden, sondern darüber hinaus weitere Fragen zu stellen: Gibt es Lösungsansätze oder neue Problemzugänge? Aber auch: Mit welchen Gefühlen werden wir aus dem Beitrag entlassen? Welchen Eindruck haben wir im Nachgang von der Welt, wie sie in der Nachricht dargestellt wird? Was können wir nach dem Konsum von Nachrichten selbst tun? Sowohl der kritische, als auch der konstruktive Blick wecken unser Interesse für Fehlentwicklungen und schaffen ein Grundverständnis für Konflikte, die dahinter liegen. Doch wo der rein kritische Ansatz eine negative Stimmung erzeugt, Sorgen und Ängste schürt, löst der Konstruktive Journalismus das Gefühl aus, etwas verändern zu können.

Konstruktiver Medienkonsum mit Stimmungstracker

Konstruktive Nachrichten und Konstruktiver Nachrichtenkonsum können demnach unsere Stimmung verbessern und dabei helfen, Nachrichten nicht zu vermeiden, sondern uns mit ihnen auseinanderzusetzen. Diese These habe ich an einer Online-Anwendung getestet, die ich im Rahmen meiner Bachelorarbeit konzipiert und entwickelt habe. Sie besteht aus vier Instrumenten. Jedes davon erfüllt einen konkreten Sinn, doch erst zusammen erzielen sie die größte Wirksamkeit.

1. Das Stimmungsbarometer

Am Ende eines Nachrichtenbeitrags fragt dieses Tool die User*innen die, welche Stimmung der Beitrag in ihnen auslöst.

Mithilfe der Tachonadel kann dann angegeben werden, ob der Artikel eher erfreuend oder belastend war. Der Sinn: bewusst reflektieren und eine erste Grundstimmung ausmachen.

2. Das Wortfeld

Hier können die User*innen ihre Stimmung genauer definieren. Sie haben die Wahl: Entweder geben sie ein selbst erdachtes Wort für ihre Stimmung an oder entscheiden sich für eines der vorgeschlagenen Adjektive.

Das Ziel: intensiver über den Effekt des Beitrages auf die eigene Gefühlslage nachdenken und sich so von negativen Inhalten distanzieren.

3. Der Beitragsvorschlag

Geben die User*innen an, dass sie der Artikel belastet, werden ihnen konstruktive Beiträge vorgeschlagen. Diese setzen sich mit Lösungsansätzen sowie zukunftsorientierten Perspektiven auseinander und wurden von anderen Nutzer*innen als „erfreuend“ bewertet.

Die konstruktiven Geschichten sollen dazu beitragen, dass User*innen die Nachrichtenportale mit einer ausgewogeneren Stimmung verlassen.

4. Die Bilanz

Dieses Tool unterstützt die User*innen dabei, auf einen Blick nachzuvollziehen, wie ausgewogen ihr Medienkonsum auf der Stimmungsebene im Tagesdurchschnitt gewesen ist - basierend auf den Daten aus Barometer und Wortfeld.

Ähnlich einem Tagebuch bietet die Anwendung auch den Platz, Emotionen und Eindrücke festzuhalten. So können Gedanken geordnet und die Stimmungslage auch rückblickend besser verstanden werden.

In User*innen – Interviews probierten fünf Teilnehmende das Online-Tool zur eigenen Mediennutzung aus. Insgesamt war es ihnen im Test möglich, sich tiefer und vor allem konstruktiver mit einem Thema zu befassen, statt das Negative daran komplett von sich wegzuschieben. Der konstruktive Beitragsvorschlag konnte zwar die Effekte einer negativen Nachricht nicht vollständig aufheben, aber die Stimmung positiv beeinflussen.

Auf diese Weise wurde ein neuer Umgang mit negativen Inhalten geschaffen. User*innen nahmen die negativen Informationen zur Kenntnis, hielten aber emotional Abstand. Die Anwendung half ihnen also tatsächlich dabei, ihre Gefühle zu reflektieren und auf eine Balance von kritischen und konstruktiven Nachrichten in ihrem Medienkonsum zu achten.

Für die Online-Anwendung heißt das konkret: Konstruktiver Journalismus zeigt, wie Veränderung möglich ist. Deshalb ist es umso wichtiger, konstruktive Nachrichten an die User*innen heranzutragen, der Nachrichtenmüdigkeit entgegenzuwirken und somit das Weltbild positiver zu gestalten.

Pia hat nun das Förderprogramm für Abschlussarbeiten durchlaufen. Du hast auch ein spannendes Thema? Melde dich bei uns! Wir haben auch immer wieder andere spannende Veranstaltungen für Studierende: Pia's Idee zu ihrer Bachelorarbeit entstand schon 2020 bei einem Workshop zu Krisenjournalismus!

Ein Artikel von

Pia Eichinger

Nach drei Praktika im Radio- und Printbereich begann Pia Eichinger an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt Journalistik zu studieren. Aktuell arbeitet die angehende Journalistin als Volontärin für den deutschen Fernsehsender Sat.1.

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