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Wie der Feminismus Instagram verändern kann

31. Mai 2023

Wie der Feminismus Instagram verändern kann

Feministischer Aktivismus durch Posts in Pink? Unsere Gastautorin hat sich in ihrer Bachelorarbeit angeschaut, wie Netzkünstler:innen unsere Sehgewohnheiten auf Instagram verändern.

Ein Gastbeitrag von Isabell Zehnder

Instagram ist mit seinen Algorithmen und Zensurmechanismen eigentlich nicht gerade für seine feministischen Potentiale berühmt. Allerdings bietet die Plattform durch Funktionen wie Liken, Teilen oder Kommentieren auch viel Raum für die Vernetzung marginalisierter Gruppen. Damit ist sie der perfekte Nährboden für Feminist:innen.

Feminismus auf Instagram, der zum Netzfeminismus gehört, kommt oft in sehr femininer, fast übertrieben pinker Optik daher - konträr zu traditionellen feministischen Vorstellungen. Aber was haben die Darstellungen von Menstruationsblut, Beinbehaarung oder Vulva-ähnlichen Früchten mit Feminismus zu tun? Und wie können sie die Plattform Instagram verändern?

Repräsentation und Sichtbarkeit

Netzfeminismus in den Sozialen Medien bedient sich unterschiedlicher Motive: Aufgeschnittene Früchte stehen symbolhaft für Vulven, die im Sprachgebrauch und in den klassischen Medien bis dato wenig Raum einnehmen. Auf anderen Fotos sieht man Binden und Tampons in rotem Glitzer getränkt. Sie stehen stellvertretend für die noch immer tabuisierte Menstruation. Auch die weibliche Körperbehaarung taucht immer wieder in netzfeministischen Feeds auf: In den traditionellen Medien wird sie meistens nicht einmal in der Werbung für Rasierprodukte gezeigt.

Laut Medienwissenschaftlerin Ann-Kathrin Kohout geht es bei all diesen Motiven einerseits darum, Verborgenes sichtbar zu machen. Andererseits soll das bereits Sichtbare eine vielfältigere Repräsentation erfahren, indem auch verschiedene Haut- und Körperformen berücksichtigt werden. Ein Ergebnis: eine hyperfeminine, pinke und poppige Ästhetik und klassische Posen der Social Media- und Werbefotografie, die die Community fleißig teilen und kopieren kann.

Eine sehr bekannte Netzkünstlerin ist etwa Arvida Byström. Sie zeigte sich für eine Adidas-Kampagne im femininen Spitzenkleid und mit Beinbehaarung.

Post von Arvida Byström (Screenshot: Isabell Zehnder)

Post von Arvida Byström (Screenshot: Isabell Zehnder)

Die Reaktionen waren kontrovers: Einerseits bekam sie Hasskommentare, weil sie sich zu maskulin zeige. Andererseit kam auch Kritik von traditionellen Feminist:innen, weil sie sich zu feminin und zu wenig feministisch darstelle. Das zeigt, wie stark Bilder auf öffentliche Debatten einwirken können.

Die Macht der Bilder im Feminismus

Im Feminismus galt lange ein unausgesprochenes Bilderverbot. Denn: Bilder galten als Mittel der männlich dominierten Werbeindustrie, die nur einen ganz bestimmten Blick auf Frauen zuließ. In den 1970er Jahren definierte die Filmtheoretikerin Laura Mulvey diesen medialen Blick auf Frauen als “Male Gaze”, also als “männliches Starren”, das Frauen nur als sexualisierte Objekte und Randfiguren inszeniert. Lange verpasste es der Feminismus, starke Gegenbilder dazu zu entwickeln.

Durch Social Media hat sich das grundlegend verändert. Der Netzfeminismus strebt unter anderem die Entwicklung einer eigenen weiblichen Bildpolitik, eines “Female Gaze” an, um gleichberechtigte Repräsentation und Sichtbarkeit der Geschlechter im Netz und darüber hinaus zu erreichen.

Feminismus auf Instagram: Zwischen Algorithmen und Aktivismen

Instagram bietet sich dafür als Plattform an, da hier auch marginalisierte Randgruppen schneller eine eigene Öffentlichkeit etablieren können als in den traditionellen Medien. Feminist:innen können sich hier vernetzen und mit Hashtags Teilöffentlichkeiten erreichen.

Andererseits lassen die Algorithmen auf Instagram nur beliebte Inhalte noch beliebter werden. Die User:innen werden so Teil einer gouvernementalen Ordnung. Also: Sie kontrollieren sich entsprechend den Algorithmen selbst und produzieren passenden Content. Das führt oft zu einer Reproduktion von Stereotypen und Male Gaze. Zusätzlich sind Nutzerinnen vermehrt von Zensur betroffen: Zum Beispiel sind weibliche Nippel auf Instagram nicht erlaubt.

Die Medienwissenschaftlerin Susanne Holschbach hat dennoch eine optimistische Theorie: Wenn sich viele einzelne kritische Perspektiven auf Instagram finden und zusammenschließen, kann dies zu einer Veränderung des Blickregimes führen.  Um dieses neue weibliche Blickregime, diesen Female Gaze zu entwickeln, eignen sich die Netzfeminis:innen bestimmte Stereotypen auf kritische Art und Weise an.

Ästhetische Vorbilder in den Medien

Lange gab es nicht viele visuelle Vorbilder im Feminismus, deswegen lassen sich Netzkünstler:innen bis heute aus den Medien der 1990er Jahre inspirieren: Figuren wie Britney Spears oder die Spice Girls sind eine große Inspiration für die Ästhetik von heutigen Instagram-Posts. Diese Figuren wurden zwar oft von männlichen Medienschaffenden geskriptet und passten sich unkommentiert an bestehende Schönheitsideale an, sie gaben sich aber gleichzeitig feministisch und erfolgreich und kritisierten die noch immer bestehende Ungleichheit der Geschlechter - wenn auch nur indirekt.

Anders die Netzfeminist:innen: Sie nehmen zwar den femininen pinken Stil an, kritisieren allerdings in ihren Posen, durch Übertreibung und Hyperfeminität die bestehenden Schönheitsideale und etablieren dadurch eine eigene Schönheitspolitik in den Medien.

Effekte des Netzfeminismus: Feminität intersektional und für alle

Sie eignen sich also Weiblichkeit an, um sich gleichzeitig von der fremd zugeschriebenen Rolle zu distanzieren. Im Netzfeminismus drückt die Farbe Pink also Stärke aus und im “Barbiecore”-Trend auf TikTok beispielsweise wird die Figur der Barbiepuppe adaptiert und feministisch neu bewertet. Statt einer vermeintlich oberflächlichen Figur zeigt die Inszenierung Stolz und Selbstbestimmung mit pinken Accessoires. Die Message dahinter: Jede:r kann selbst entscheiden, wie maskulin oder feminin er:sie sich auf Social Media präsentieren möchte, ohne dass das über Seriosität oder Intelligenz entscheidet.

Das überträgt sich auch in die männlich kodierte Welt: Harry Styles präsentiert sich auf Instagram im Tutut und bricht mit der sogenannten “Toxic Masculinity”, die jegliche Formen von Feminität als Schwäche abtut. Auch rassistische Schönheits- und Bildpolitik zu Haarstrukturen, Nasenformen oder Hautfarben kritisiert der Netzfeminismus und etabliert diversere Ästhetiken.

Der Netzfeminismus mit seinen verspielten Motiven und seiner pinken Ästhetik entwickelt also eine neue, diverse, weibliche Bildpolitik auf Social Media, die auch intersektional Geschlechterrollen auflockert. Auch durch Kooperationen von feministischen Netzkünstler:innen mit bekannten Marken wie Adidas und H&M erfährt sie Beachtung. Der netzfeministische Instagram-Aktivismus funktioniert zwar durch Körperbilder und ist auch durch die normativen Mechanismen der Plattform Instagram geprägt, schafft dadurch allerdings  eine mehrheitsfähige weibliche Bildsprache. Ein solcher Female Gaze wurde zuvor weder von der Werbeindustrie noch von dem bildkritischen Feminismus so verbreitet.


Isabell Zehnder

Isabell interessierte der Aktivismus und die Kunst auf Social Media schon während ihres Studiums der Kulturwissenschaften und künstlerischen Praxis mit Schwerpunkt Medien an der Universität Hildesheim. Auch privat findet sie, dass sich Feminität und Feminismus genauso wenig ausschließen müssen wie bunte Eyeliner und Seriosität. Wie Medien innovativ verändert werden können, beschäftigt sie auch in ihrer redaktionellen Mitarbeit im lokalen und überregionalen Journalismus.

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