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Politisch sensibel: Medialer Aktivismus auf Instagram

22. April 2021

Politisch sensibel: Medialer Aktivismus auf Instagram

Von Hashtag-Aktivismus bis zu Sinnfluencer:innen auf Instagram schließen sich politische Inhalte und Marketing nicht aus, sondern profitieren voneinander. Auf welche ästhetischen und medialen Praxen greift die politische Selbstinszenierung zurück – und wie groß ist ihre Strahlkraft auf andere Kommunikationsfelder?

Ein Gastbeitrag von Leonard Schulz

Screenshot: Leonard Schulz

In diesem Text kann ich natürlich nur mutmaßen. Schließlich hat die Forschung und Gestaltung meiner Masterarbeit ja noch gar nicht so richtig begonnen – aber eines weiß ich schon: Politik auf Instagram erregt die Gemüter. Denn der Stil, mit dem auf Instagram politische Inhalte kommuniziert und verhandelt werden, ist neu – und bedarf einer genaueren Untersuchung.

Neue Öffentlichkeiten

Schon seit ihren Anfängen sind die sozialen Medien mit der politischen Sphäre verknüpft. Meinungsbildung, Wahlkämpfe und Aktivismus finden spätestens seit dem Web 2.0 in einem so großem Maße im Netz statt, dass nicht mehr von einem Randphänomen die Rede ist. Dass politisches Geschehen auf sozialen Medien nicht unkommentiert bleibt, beschreibt der Shift vom einseitigen Pyramidenmodell der klassischen Medien, das durch Hierarchie und Gatekeeping geprägt ist, zu einem multidirektionalen Modell der sozialen Netzwerke. Die meistgenutzten Plattformen für politische Kommunikation in Deutschland waren lange Facebook und Twitter, die beide vorrangig zur schriftlichen Kommunikation genutzt werden. Auf Instagram hingegen dreht sich alles um das Visuelle – früher hauptsächlich Fotografie, mittlerweile auch Bewegtbild. Das Smartphone ist dabei in den Mittelpunkt der Nutzer:innen-Verhaltens gerückt und liefert seit der Einführung des „Story-Formats“ unmittelbare (Ein-)Blicke in die inszenierte Privatheit der Creator:innen.

Selfies als medialer Akt politischer Selbstinszenierung (Leonard Schulz)

Digitale Kompliz:innenschaft

Dass die Politik ihren Weg in die Selbstinszenierungen gefunden hat, ist ein kleines Wunder. Denn die spätkapitalistische Konsum-Ästhetik Instagram ließ eigentlich keinen Raum für komplexe und widersprüchliche Inhalte. Zudem funktionieren erfolgreiche Profile weniger über feste Konzepte als über Spontaneität und Authentizität durch das Offenbaren von Persönlichkeit. Die Politisierung von Instagram lässt sich durch die sogenannten Hashtag-Bewegungen #metoo und #BlackLivesMatter möglicherweise am besten verstehen. Sie richten sich beide gegen Diskriminierung. Ein Thema, das sich meist im emotional-privaten Raum der Betroffenen abspielt – aber auch wie geschaffen für die Instagram-Öffentlichkeit ist, die ja Authentizität belohnt. Das Teilen persönlicher Themen hat die Tür für politische Inhalte geschaffen, was wiederum von den Influencer:innen antizipiert wurde. In der Inszenierung des eigenen Lifestyles treffen sich Anti-Diskriminierungsstrategien und steigendes Konsumbewusstsein. Das wird zwar von einigen Seiten unter dem Vorwurf der Oberflächlichkeit kritisiert, doch die Durchschlagskraft der aktivistischen Insta-Trends spricht für sich.

Sichtbarkeit & Sensibilität

Das zentrale Element der Politisierung auf Instagram ist das Schaffen von Sichtbarkeit von nicht oder unterrepräsentierte Bevölkerungsgruppen: Sie wird für die gesamte Gesellschaft gefordert und im digitalen Raum bereits vorgelebt. Das ist möglich, weil in der Aufmerksamkeitsökonomie der Plattform Sichtbarkeit Repräsentation bedeutet. War politischer Diskurs auf den anderen Plattform oftmals studierten Hobby-Debattierern vorbehalten, melden sich auf Instagram neue Akteur:innen zu Wort, die vorher kein Gehör fanden. Das Mobilisierungspotential des Instagram-Aktivismus ist gewaltig, denn auf den sozialen Medien bedarf es keines Politikwissenschaftsstudiums um die Sichtweise anderer Personen zu verstehen. Im Gegensatz zu politischer Bildung in Film oder Kunst ist die (para-)soziale Beziehung, die ich zu einem Profil aufbaue, langfristig und in den Alltag integriert. Durch die zunehmende Politisierung Instagrams, das zunächst eine reine Foto-Plattform war, haben sich neue Narrative (Stichwort Sensibilität und Sprache) und digitale Kommunikationspraktiken (siehe Community-Journalismus) etabliert, die auch langfristig Bestand haben werden.

In meiner durch das Media Lab Bayern geförderten Masterarbeit werden sowohl wissenschaftliche Forschung als auch gestalterische Elemente wie non-fiktionaler Film und Dokumentarfotografie eine Rolle spielen – entstehen soll ein multimedialer Einblick in die Welt der Politik auf Instagram.

Leonard hat nun sein Basic Research Program, den ersten Teil unseres Förderprogramms für Abschlussarbeiten, abgeschlossen und kann mit seiner Masterarbeit bei uns richtig durchstarten. Wir sind gespannt, was wir noch alles Interessantes zum Thema politischer Aktivismus auf Instagram herausfinden dürfen!

Text: Leonard Schulz

Leonard Schulz

Leonard Schulz ist Master-Student an der Berliner Universität der Künste im Studiengang Gesellschafts- & Wirtschaftskommunikation. Während seines BA Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität Berlin hat er ein Auslandssemester in Istanbul gemacht, dort ein Filmfestival mitkuratiert, ein Praktikum bei Cem Özdemir von den Grünen gemacht und an dem Kino-Film Futur Drei mitgearbeitet. Neben dem Studium schreibt er frei für die Taz, die Tageszeitung.

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