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Diskursiver Rassismus: Das eigentliche Drama

11. August 2021

Diskursiver Rassismus durch Medien: Das eigentliche Drama

Die deutsche Gesellschaft ist mit vielen Herausforderungen konfrontiert: Flüchtlingskrise, EU-Skepsis, Rechtspopulismus, Fremdenfeindlichkeit - die Liste scheint endlos. Medien spiegeln diese Herausforderungen wider und in unzähligen Berichten werden die Themen rund um Migrant:innen kritisch betrachtet. Inwieweit dieses Framing der Medien das Bild der deutschen Gesellschaft von Migrant:innen und Geflüchteten prägt, ist nicht leicht herauszufiltern. Dieser Blogbeitrag bringt etwas Licht ins Dunkel.

Ein Gastbeitrag von Jiangqi Shen

Seit dem Ausbruch der Pandemie hat der Hass gegen Asiat:innen viral zugenommen. Ziemlich wahrscheinlich hängt das mit der Annahme zusammen, dass das Coronavirus aus China stammt - wahlweise aufgrund der andersartigen Essgewohnheiten, schlechten Hygienebedingungen oder wegen eines Laborunfalls. In den USA ist die Unruhe in der asiatischen Community rasant gewachsen und hat diese monatelang verfolgt. Der gesellschaftlichen Stimmungswandel zeigte sich unter anderen dadurch, dass die Chinatowns in den us-amerikanischen Großstädten zunehmend gemieden wurden.

Stop AAPI Hate, eine Non-Profit-Organisation welche begann, antiasiatische Vorfälle auf einer Website zu dokumentieren und zu publizieren, erreichten bereits in den ersten vier Wochen nach dem Launch der Website 1.497 Meldungen. Den größten Anteil der Meldungen machte mit 70 Prozent die verbale Belästigung von Asiat:innen aus. Über diese Form der Belästigungen hinaus wurde in mehreren Städten der USA Hasskriminalität begangen: In San Francisco wurden beispielsweise asiatisch aussehende Senioren angegriffen; ein Amokläufer in einem Massagesalon in Atlanta tötete acht Menschen, sechs davon waren Frauen asiatischer Abstammung.

Auch die Lage in Deutschland ist angespannt. Initiativen wie #ichbinkeinvirus, Vereine wie Korientation und Plattformen wie Belltower.News setzen sich zwar seit Anfang der Pandemie dafür ein, antiasiatische Vorfälle zu dokumentieren und den antiastiatischen Rassismus in Deutschland zu bekämpfen. Doch trotz aller Bemühungen werden immer wieder antiasiatische Vorfälle bekannt: Mit Desinfektionsmittel besprüht und mit „Coronavirus“ gepöbelt und beleidigt, leiden tausende asiatisch gelesene Menschen in Deutschland in der Pandemie nicht nur unter dem Virus und den dadurch entstandenen Einschränkungen gemeinsam mit der restlichen Bevölkerung, sondern auch unter der Stigmatisierung, die auf Rassismus und Vorurteilen beruht.

Die Rolle der Medien

Für meine Projektarbeit im Rahmen meines Politikwissenschaft-Studiums (“Medienumstände und asiatischer Rassismus inmitten von COVID-19 in Deutschland”) habe ich untersucht, welche Rolle Medien bei der Ausbreitung von antiasiatischem Rassismus spielen können. Der Zusammenhang zwischen Medien und Rassismus wurde bereits in vielen Studien untersucht. Ziel der Studien war unter anderem, die komplexen psychischen Korrelationen zwischen Medien und Meinungsbildung zu erforschen und herauszufinden, wie Medien Rassismus auslösen und verstärken können. Das einhellige Ergebnis: Die Diskriminierung von asiatisch gelesenen Menschen während der Pandemie wurde und wird durch Medien forciert, die Chines:innen beziehungsweise Asiat:innen negativ darstellen.

In den User-Interviews für meine Projektarbeit wollte ich auf diese Erkenntnis eingehen und befragte die Interviewten, wie sie das Image von Chines:innen in deutschen Medien bewerten. Fast alle Teilnehmenden hielt die Rolle der Medien für die Reproduktion von Stereotypen für entscheidend. Besonders die befragten Journalistinnen und Journalisten wiesen darauf hin, dass das Thema „Diversität“ in der journalistischen Ausbildung nicht genügend Beachtung findet. Darüber hinaus äußerten die Befragten den Eindruck, dass nicht nur das in den Medien gezeigte Image von Chines:innen überwiegend negativ ist, sondern auch das Framing von Themen in Bezug auf Migrant:innen im Allgemeinen.

Die Theorie des diskursiven Rassismus

An dieser Stelle kommt der diskursive Rassismus ins Spiel: Diskursiver Rassismus ist eine Form von Rassismus, die durch den Diskurs zum Beispiel in Artikeln, Filmen, Berichterstattungen und Fernsehsendungen geäußert, umgesetzt und gefestigt wird. Diese Form des Rassismus wird oft als der „neue“ Rassismus bezeichnet, da er im Gegensatz zum „alten“ Rassismus nicht offen aggressiv und gewaltsam ist. Das macht den diskursiven Rassismus aber nicht weniger effektiv darin, andere ethnischen Gruppen zu marginalisieren und auszugrenzen. Er hat viele Gesichter, verfügt aber im Wesentlichen über eine Gesamtstrategie der positiven Selbstdarstellung und negativen Fremddarstellung. Im Ergebnis entwickelt sich eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, die auf der Verachtung eines Mitmenschen aus einer betroffenen Gruppe basiert.

In der Covid-19 Pandemie wurde von den Medien asiatisches Aussehen oft mit dem Coronavirus verknüpft und identisch geframed. Als Bildaufmacher der Corona-Berichterstattung wurden des öfteren Bilder von exotischen Fleisch- und Fischmärkten ausgesucht, um die nach westlichen Maßstäben schlechten Hygienebedingungen darzustellen. Ein Versuch der chinesischen Regierung, einen internationalen Impfpass zu etablieren, wurde als Versuch Chinas, seinen globalen Führungsanspruch zu festigen, interpretiert, obwohl die europäische Union vergleichbare Pläne hatte. In den Köpfen vieler Rezipient:innen ist so ein Feindbild, ein Sündenbock und eine Bedrohung der globalen Gesundheit und Sicherheit entstanden. Unter dem daraus entstandenen oder gewachsenen Rassismus leiden nun viele asiatisch gelesene Menschen.

Geht es um Migrant:innen und Zuwander:innen, beschränken sich die Artikel und Beiträge oft auf folgende Themen: illegale Einwanderung, Integrationskonflikte, Gewalt und Kriminalität. Berichterstattungen beinhalten oft abwertende Stereotype und geben den betroffenen Gruppen negative Labels, wie zum Beispiel “Leben im Plattenbau”, “niedriges Einkommen” und “fehlende Zivilisierung”.

Ein Quiz, um zu sensibilisieren

Inspiriert von den Key-Learnings aus den Interviews und der Theorie des diskursiven Rassismus, habe ich einen Prototypen zur Bekämpfung des von den Medien vermittelten und reproduzierten Rassismus entworfen. Nach dem Motto „lifelong learning“ habe ich ein Quiz entwickelt, welches der persönlichen Reflexion und Weiterentwicklung dienen kann. Die Teilnehmenden können beim Antworten interaktiv einen Blick auf die Themen „Diskursiver Rassismus“ und „Diversität“ werfen.

Das Quiz beinhaltet vier Bereiche, die unterschiedliche Fähigkeiten der Teilnehmenden erfordern:

Wissen: Die Fähigkeit, grundlegendes Wissen über Medien und Journalismus abzurufen

Beurteilen: Die Fähigkeit, die Neutralität der Beiträge zu beurteilen und unangebrachte Bestandteile der Berichterstattung zu erkennen

Überprüfen: Die Fähigkeit, sich mit komplexen Themen auseinanderzusetzen und die Aussagen der Beiträge durch proaktive Recherche zu überprüfen

Sensibilisieren: Die Fähigkeit, sich für impliziten Rassismus zu sensibilisieren und den stereotype-reproduzierenden Mechanismus in Medien zu verstehen

Quizze zum Thema Rassismus gibt es seit Langem – ein Quiz mit dem Fokus auf Berichterstattungen und durch Diskurs etablierten Rassismus gab es noch nicht. Als ein Pionierprojekt ist mein Prototyp nicht perfekt - hat aber großes Potential. Daher freue ich mich über alle Feedbacks und auf konstruktive Diskussionen!

Hier geht's zum Quiz!

Jiangqi hat seine Projektarbeit begleitet durch unser Förderprogramm für Abschlussarbeiten geschrieben. Wenn du auch ein spannendes, innovatives Thema für deine Projekt- oder Abschlussarbeit planst, dann melde dich bei uns!

Text: Jiangqi Shen

Jiangqi Shen

Nach dem Abschluss seines Germanistikstudiums studiert Jiangqi nun Politikwissenschaft an der Technischen Universität München. In diesem innovativen Studiengang werden politische Fragestellungen mit Hilfe von technologischen Ansätzen bearbeitet. Digitale Medien gehören zu den wichtigen Interessensgebieten sowohl in seinem Studium als auch in seinem Privatleben. Aus diesem Grund arbeitet er seit 2019 als Werkstudent beim Media Lab Bayern.

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